🧑🦰 Titel: Der Brief ohne Absender (The Letter Without Sender)
📚 Genre: Emotional Mystery | Sprache: Deutsch
✍️ Author: Jagulu Master
Der Brief ohne Absender
Es war ein regnerischer Abend in Berlin. Anna, eine 26-jährige Buchhändlerin, schloss gerade ihren kleinen Laden, als sie einen alten, leicht zerknitterten Briefumschlag an ihrer Tür fand. Kein Absender. Keine Marke. Nur ihr Name – „Anna Müller“ – in schöner, geschwungener Schrift.
Verwirrt nahm sie den Brief mit nach Hause. In ihrer kleinen Altbauwohnung setzte sie sich mit einer Tasse Tee ans Fenster und öffnete ihn vorsichtig.
„Liebe Anna,
Ich weiß, du wirst überrascht sein. Vielleicht sogar verängstigt. Aber bitte, lies weiter.
Du kennst mich nicht, aber ich kenne dich seit dem Tag deiner Geburt.
Ich bin dein Vater.“
Ihr Herz stockte. Ihr Vater war nie Teil ihres Lebens gewesen. Ihre Mutter hatte immer gesagt, er sei bei einem Unfall gestorben, bevor Anna sprechen konnte.
„Ich war nie mutig genug, mich dir zu zeigen. Deine Mutter wollte dich schützen – vor mir, vor der Wahrheit. Aber jetzt, da ich krank bin und wenig Zeit bleibt, möchte ich, dass du weißt: Ich habe dich immer geliebt.
Jeden Geburtstag, jedes Weihnachten – ich war da. Im Schatten, im Verborgenen. Ich habe zugesehen, wie du gewachsen bist.“
Anna fühlte, wie ihre Augen feucht wurden. War das wirklich möglich?
„Im Café an der Ecke sitzt ein alter Mann jeden Mittwoch zur gleichen Zeit. Das bin ich. Wenn du bereit bist – komm. Ich werde warten. Nur diesen Mittwoch.“
Sie faltete den Brief zusammen. Ihre Hände zitterten. War es ein Scherz? Ein Fehler? Oder doch die Wahrheit?
Der Mittwoch
Der nächste Mittwoch kam schnell. Anna konnte kaum schlafen. Mit pochendem Herzen betrat sie das kleine Café in der Nähe ihres Buchladens. Da – in der Ecke – saß ein alter Mann mit einem grauen Mantel, ein leeres Glas vor sich.
Als ihre Blicke sich trafen, lächelte er sanft. Tränen standen in seinen Augen.
Sie ging langsam auf ihn zu.
„Bist du…?“ begann sie.
Er nickte. „Ich bin’s, Anna.“
Ohne ein weiteres Wort fiel sie ihm in die Arme. Jahre der Fragen, der Wut, der Sehnsucht brachen in einem Moment zusammen.
Epilog
Drei Monate später starb er. Doch in dieser kurzen Zeit lernten sie sich wirklich kennen. Anna fand Frieden. Nicht, weil sie die ganze Wahrheit erfuhr – sondern, weil sie das wichtigste bekam: die Chance auf Abschied.
Und den Brief?
Den bewahrte sie für immer auf – zwischen den Seiten ihres Lieblingsbuches.
Comments
Post a Comment